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  • mittlerjennifer

Achtsamkeit im Alltag

Aktualisiert: 22. Okt. 2021


Warum ist so etwas Einfaches so schwer?


Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich zu jedem Zeitpunkt schlecht fühlen kann (in Anlehnung an Erich Fromm). Dass wir so empfinden können, ist durch unsere Sprache vermittelt. Denn wir nutzen Sprache nicht nur zur Kommunikation, sondern wir denken auch mittels Sprache. Durch sie holen wir Vergangenheit und Zukunft in das „Hier und Jetzt“ – und damit auch unsere Gefühle, die mit unseren Erinnerungen und Erwartungen verknüpft sind. So leben wir häufig nicht in der Gegenwart, sondern sprichwörtlich in Vergangenheit und Zukunft.


Häufig verweilen wir gedanklich in der Vergangenheit. So grübeln wir über das Gewesene und das, was hätte sein können. Dabei empfinden wir manchmal auch Schuld oder Scham aufgrund eigener Handlungen, Traurigkeit um Verlorenes und verpasste Möglichkeiten, aber auch Ärger, weil etwas nicht so sein konnte oder durfte, wie es war.


Oft sind wir mental in der Zukunft. So spekulieren wir über das Kommende und das, was sein könnte. Denn im Alltag wird uns Vieles abverlangt, weshalb wir versuchen „vorauszudenken“. Um bestmöglich vorbereitet zu sein, schmieden wir Pläne und fertigen Listen an. Dies fühlt sich häufig sogar sehr funktional an, denn es gibt uns ein Gefühl der Kontrolle. Jedoch entstehen durch dieses Antizipieren auch Sorgen, die belasten und stressen.


Bewegen wir uns gedanklich häufig in Vergangenheit und Zukunft, so sind wir selten im „Hier und Jetzt“. Manchen Menschen scheint dies gar nicht mehr zu gelingen. Die einfache Lösung wäre „Achtsamkeit“ zu praktizieren und im jetzigen Moment zu sein. Unzählige Ratgeber, Videos und Medienbeiträge zu diesem Thema zeigen, dass viele Menschen danach zu suchen scheinen.


So können wir mit Übungen beginnen, die wir im Alltag umsetzen können. Dabei kann das bewusste Wahrnehmen von Empfindungen und Gedanken bei der Durchführung einfacher Alltagsaktivitäten geübt werden. Alltägliche Gelegenheiten sind das Trinken einer Tasse Kaffee, das Abwaschen, das Zähneputzen. So können wir kleine Einheiten in unseren Tagesablauf integrieren und Stück für Stück unsere Achtsamkeit trainieren.


Klingt so einfach. Aber warum fällt uns dies so schwer?


„Achtsamkeit bedeutet sich dem unmittelbaren Augenblick mit einer nicht wertenden annehmenden Haltung zuzuwenden, dem, was wir gerade tun, ohne in Grübeleien, Erinnerungen oder Zukunftsplanungen gefangen zu sein. Man ist einverstanden, mit dem was gerade ist unabhängig davon, ob eine Situation gerade angenehm oder unangenehm ist.“ (Jon-Kabat-Zinn)


Im Hier und Jetzt zu sein bedeutet im gegenwärtigen Moment alles wahrzunehmen – im Außen wie im Innen. Gelingt es, den Fokus auf den augenblicklichen Moment zu richten, so kann es sein, dass sich das, was wir wahrnehmen, bedrohlich anfühlt. Vor allem, wenn wir selten oder gar nie im „Hier und Jetzt“ verweilen, kann dies eine unangenehme oder gar ängstigende Erfahrung ein.


Denn treten wir plötzlich in Kontakt mit uns selbst, so können wir auch Unangenehmes spüren. Beginnen wir damit, uns auf das „Hier und Jetzt“ zu konzentrieren, dann ist es sogar recht wahrscheinlich. So merkt man zu Beginn vielleicht ganz bewusst, wie verspannt sich der eigene Körper eigentlich anfühlt. Also nimmt man erst einmal einen unangenehmen Zustand wahr, möglicherweise sogar sehr intensiv. Wir erleben dies dann, obwohl wir eigentlich unangenehme Zustände wie diesen zu vermeiden suchen. Und so sind wir verleitet, schnell wieder einen Weg zu finden, um ums abzulenken. Das Handy, der schnelle Snack zwischendurch, oder der nächste Punkt auf der „to do“-Liste ermöglichen uns einen schnellen Ausweg aus dem „Hier und Jetzt“. Jedoch liegt gerade in diesem Moment die Herausforderung. Denn wenn wir uns nicht lernen selbst zu spüren, so können wir auch nicht gut für uns sorgen. An dieser Stelle knüpft die Achtsamkeit an.


Achtsamkeitstraining ist somit nicht zu verwechseln mit einem Genusstraining. Denn in diesem versucht man, angenehme Sinneserfahrungen gezielt herbeizuführen. Im Gegensatz dazu geht es bei Achtsamkeitsübungen darum, die Wahrnehmung zu schulen und das, was ist, anzunehmen. Auf den ersten Blick klingt dies wenig attraktiv. Es stellt sich vielleicht die Frage, warum wir einfach nur wahrnehmen sollten als zu genießen? Die Antwort liegt in der Erkenntnis begründet, dass praktizierte Achtsamkeit uns langfristig guttut. Wir lernen durch Achtsamkeit Gefühle zu erleben, die aus der Wahrnehmung des Geschehens im „Hier und Jetzt“ resultieren – nicht die Emotionen aus der Vergangenheit oder Zukunft. Zudem führt Achtsamkeit zu vielen weiteren positiven Veränderungen. Indem wir zum Beobachter unseres Selbst und unserer Umwelt werden, treten wir aus dem „Autopiloten“ heraus, der uns normalerweise durch den Alltag navigiert. Wir lernen, in herausfordernden Situationen die Übersicht zu behalten und bewusste Entscheidungen zu treffen. Wir fördern unsere Konzentrationsfähigkeit, auch in stressigen Situationen. All dies kann sich positiv auf unsere Beziehungen auswirken.


Der Mensch ist also auch das einzige Lebewesen, dass sich selbst beobachten kann und somit Selbstkontrolle und -bewusstsein steigern kann. Achtsamkeitstraining kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.


Literatur:

Kabat-Zinn, J. & Kauschke, M. (2013). Achtsamkeit für Anfänger. Freiburg im Breisgau: Arbor.



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